peter kooij
pressestimmen
Goldberg no 45 (April 2007)
De Profundis Clamavi
Craig Zeichner
This beautifully performed program of 17th-century German sacred works
for solo voice and string ensemble takes its name from Psalm 130, "Out
of the dephts have I cried unto thee." The recording features a
setting
of the psalm by Nicolaus Bruhns, as well as works by Matthias Weckmann,
Johann Christoph Bach, Christian Geist, and Benedictus Buns (known as
Benedictus a Sancto Josepho). Rounding out the program are works for string
ensemble by Heinrich Ignaz Franz Von Biber and Johann Heinrich
Schmelzer.
This is moving music, and while there is a prevailing sense of
somber piety
throughout, there is enough variety in each selection to keep the listener
thoroughly engaged. Bass Peter Kooij's deeply expressive singing and
virtuoso technique - some of these pieces make rather pressing demands on
the singer - and the rich tonal beauty of the strings of L'Armonia Sonora,
make this a highly rewarding recording of brilliant repertoire.
Some highlights: Weckmann's Kommet her zu mir alle, with its
hints of
the Italian style, showcases marvelous playing by the string ensemble and
features Kooij at his expressive best. J. Christoph Bach's dramatic setting
of the sixth psalm, a vivid meditation on humanity's miserable
state, is one
of the recording's sublime moments. The composer's instrumental writing
underscores the text with striking word-painting, and Kooij infuses every
word with power and meaning.
The recorded sound and well-written liner notes compliment the music. While
some of this repertoire has been recorded before, it is unlikely that you
will find such an ideal marriage of performance and production on any
disc.
5/5
Musik und Kirche (März/April 2007)
Demut und Zuversicht
Matthias Hengelbrock
Die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges hatte einerseits zutiefst verunsichernde, ja demoralisierende Auswirkungen auf die deutsche Geisteswelt; andererseits brachte sie eine Rückbesinnung auf existenzielle Fragen der Religion mit sich. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Vokalwerke dieser Aufnahmen, die etwas ungenau als geistliche Kantaten bezeichnet werden, obwohl es sich eigentlich um Konzerte und Arien handelt: Demut, Kummer und Angst sprechen aus diesen Werken, aber auch Vertrauen, Zuversicht und eine Dankbarkeit, die sich weniger im Jubel als in stiller Bescheidenheit zeigt. Recht bekannt sind das Konzert „Kommet her zu mir alle“ von Matthias Weckmann, das Lamento „Wie bist du denn, o Gott, in Zorn auf mich entbrannt“ von Johann Christoph Bach und „De profundis clamavi“ von Nicolaus Bruhns. Eine große Repertoirebereicherung stellt Christian Geists Aria „Es war aber an der Stätte“ dar, in der die Grablegungsszene zunächst als Arioso accompagnato vertont und dann mit dem Choral „O Traurigkeit, o Herzeleid“ kommentiert wird; hier eröffnet sich die ganze emotionale Tiefe der protestantischen Kirchenmusik des 17. Jahrhunderts. Im Vergleich dazu wirkt die Psalmvertonung „Domine ne furore tuo“ von Benedictus Buns wesentlich oberflächlicher, obwohl sie harmonisch und melodisch durchaus ihren Reiz hat; man merkt deutlich, dass die katholische Vokalmusik dieser Zeit eine eher dekorative als predigende Funktion hatte.
In Peter Kooij finden alle Stücke einen Interpreten, dessen dunkles, zum Teil basaltiges Basstimbre für die richtige Grundstimmung sorgt und der es versteht, mit sparsamen Akzenten eine hohe rhetorische Intensität zu erzeugen. Einziger Kritikpunt wäre seine italienische Aussprache des Lateinischen: Es gab zwar auch in Norddeutschland italienische Sänger, vor allem Kastraten; gleichwohl ist zumindest Bruhns' Werk theologisch im Protestantismus verwurzelt, was man durch eine Aussprache verdeutlichen sollte, wie sie seinerzeit an deutschen Lateinschulen gepflegt wurde.
L'Armonia Sonora steht aufführungspraktisch ganz in der niederländisch-belgischen Tradition und lässt mit einem ebenso sensiblen wie sinnlichen Geigen-Gamben-Klang eine wunderbare Atmosphäre aufkommen, in der das ganze Spektrum von Trauer und Trost zur Geltung kommt. Eine Sonate von Biber und ein Lamento von Schmelzer runden das Programm stimmig ab.
Fono Forum (Februar 2007)
Lamentös
Reinmar Emans
Die Blüte des Geistlichen Konzerts verdankt sich auch dem Umstantd, dass sich die Musiker im und nach dem Dreißigjährigen Krieg auf die fast immer ungünstigeren Aufführungsbedingungen einlassen mussten. Zugleich spiegelt sich nach nur in den Texten, sondern eben auch in der Musik die deprimierende Situation deutlich wider. Das mehr oder weniger lamentöse Programm bietet Peter Kooij wunderbare Gestaltungsmöglichkeiten, deren Intensität mitunter richtig unter die Haut gehen kann. Dass nicht immer die gleich runde Klangbalance vorherrscht wie bei den Einspielungen des Ricercar Consort mit ähnlichem Material, gereicht hierbei nicht unbedingt zum Nachteil.
Musik und Klang: ****
BBC Music Magazine, February 2007
Profoundly German
Nicholas Anderson welcomes a disc of sacred cantatas
Whether or not the distinctive, often expressively intense music of mid-to-late 17th-century Germany was a corollary of the savage Thirty Years' War is a matter for speculation; but the devastation that it left in its wake was such that artistic sensibilities can hardly have remained unaffected. This recital by the Netherlands bass Peter Kooij contains music set to German and Latin texts; sometimes, as in Bruhns's cantata De profundis clamavi, it is supplicatory in its declamation but in every instance it's grief-laden.
One of the loveliest and least known pieces on this recording is
by German
composer and organist Christian Geist, whose commentary on Christ's burial,
in the form of a strophic aria, yields an intimate, reflective intensity.
Kooij's warmly coloured, well-focused voice, together with all the
stylistic
assurance that he demonstrates in his Bach singing, makes for rewarding
listening. From among a wealth of rewarding vocal pieces, Johann Christoph
Bach's Lament Wie bist du denn, O Gott stands out for its expressive
power and for its passages of virtuosic writing
Two instrumental works by Biber and Schmelzer - his famous
Lament upon the death of Ferdinand III is played with
tenderness and restraint by L'Armonia Sonora - complete a programme
of merit. Strongly commended for performance, recording and
documentation alike.
Performance 5/5
Sound 5/5
Diapason décembre 2006
De profundis clamavi
Jean-Luc Macia
Cette superbe anthologie de cantates pour basse rend compte de l´activité des compositeurs allemands à la fin du XVIIe siècle, de leur sens des figurations et de leur engagement spirituel. L´organiste hambourgeois Matthias Weckmann, qu´admira tant le jeune Buxtehude, nous livre une savante aria aux affects impressionnants (les cascades de doubles-croches, les sextolets) survolés par une basse aux accents élégiaques. Le grand lamento Wie bist du denn de Johann Christoph Bach, cousin du père de Jean-Sébastien, a les mêmes vertus rhétoriques et consolatrices. Junghänel l´avait gravé avec beaucoup d´émotion dans son anthologie consacrée aux ancêtres de Bach (cf. no 503), plus en tout cas que Michael Schopper et Reinhard Goebel dans un autre album fameux (Archiv). Peter Kooy n´a peut-être pas tous les frémissements requis et sa lecture touche par sa sincérité plus que par une technique loin d´être parfaite, mais on ne reste pas insensible à cette accumulation d´épanchements à la limite du masochisme religieux.
Le spectaculaire De Profundis de Nicolaus Bruhns le trouve mieux à son affaire, voix mordante et élans ténébreux du cœur, porté par l´excellent ensemble réuni par Mieneke van der Velden. Les pages torturées de Geist, au climat embrumé de savants chromatismes, et du très rare Benedictus Buns possèdent les mêmes vertus installant une atmosphère constamment doloriste : il faut toute la science expressive de Kooy et le brio des instrumentistes pour éviter que la monotonie ne s´installe. Pour faire diversion dans cette ambiance oppressante, L´Armonia Sonora intercale une sonate de Biber (la première du Fidicinium sacro-profanum) et le fameux Lamento sur la mort de Ferdinand III de Schmelzer, joués avec un réel panache.
5/5
Volksstimme, 4. April 2005
Seltene Kantaten vor frühlingshafter Kulisse
Von Liane Bornholdt
Magdeburg. Zu Beginn der 434. Telemann-Sonntagsmusik im Schinkelsaal des
Gesellschaftshauses erklangen vor der Kulisse des
frühlingshaften Parks
Geigen. Daniel Deuter und Ursula Garnier (Violinen) begleitet von Stefan
Schulz am Violoncello und Anne-Catharine Bucher (Cembalo) vom
Barockensemble
"De Profundis" spielten zwei Sätze aus der Deuxième
récréation für zwei Geigen und Basso continuo von
Jean-Marie Leclair.
Der Zeitgenosse Telemanns hat außerordentlich virtuose und
anspruchsvolle Geigenwerke komponiert, die das ganze Können der
Violinisten verlangten. Beide spielten mit stilistischer Einfühlung,
aber nicht immer in ganz präzisem Zusammenspiel. Die erste Geige
(Daniel Deuter) klang mitunter etwas vordergründig.
Viel besser entfaltete sich das Zusammenspiel in der Begleitung der
Vokalwerke. Als Gesangssolist war Peter Kooij, Bass, der Gründer des
Ensembles "De Profundis", zu erleben. Er sang drei Kantaten von
Telemann. Peter Kooij ist ein sehr genauer Sänger, der die
üppigen
und eng auf den Text bezogenen Verzierungen in Telemanns
Kompositionen nicht
nur technisch meisterhaft, sondern auch inhaltlich genau durchdacht zu
singen verstand.
"Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser" ist eine Kantate,
die auch mit ausführlichen Koloraturen geschmückt ist. Sie ist
besonders reizvoll durch die ausgezeichnet gespielte Violoncellobegleitung
der Arien. Besonders eindrucksvoll die Aria Nr. 4 "Wie der
Baum, so ist
die Frucht", ein phantasievoll und drastisch ausgemaltes
Sündenbekenntnis.
Zum Abschluss erklang mit "Es füllen der Allmacht" TWV 1:702
eine Kantate, die Telemanns tonmalerische Meisterschaft ganz besonders
deutlich werden lässt. Peter Kooij ließ seine warme Bassstimme
erschrecklich donnern und wüten, bevor er den tief empfundenen
Trauergesang des zweiten Teils dieser Kantate anstimmte.
Zwischen diesen Kantaten waren noch zwei sehr interessante
Instrumentalwerke
zu hören. Vermutlich als erste Wiederaufführung nach 250 Jahren
erklang Telemanns Sonate G-Dur für Violine, Violoncello und Basso
continuo TWV 42:G7, ein reizvolles kleines Werk, in dem beide
Soloinstrumente gleichberechtigt konzertieren. Es ist das einzige bekannte
Werk Telemanns für diese Besetzung. Besonders der Mittelsatz ist sehr
kunstvoll aufgebaut und bezauberte durch klanglichen Reichtum.
Eine Entdeckung für die Liebhaber der Barockmusik ist gewiss auch
Johann Gottlieb Goldbergs Sonate a-Moll für zwei Violinen und Basso
continuo gewesen. Die vier kontrastreichen Sätze enden in einem sehr
temperamentvollen Allegro assai, das sowohl von den Sologeigen als auch von
den Continuospielern große Präzision erfordert, die hier auch zu
erleben war. Sie spielten hier klanglich ausgewogen und erhielten
herzlichen Beifall.
aus dem Interview von Agnes van der Horst in Tijdschrift Oude Muziek Nr. 1/04
Textinterpretation - des Sängers großer Vorteil
Das best gehütete Geheimnis der niederländischen Szene der
"Alten Musik" hat einen leichten deutschen Akzent. Peter
Kooij wohnt schon seit dreizehn Jahren in der Nähe von Hannover.
Doch das ist nicht der Grund, dass der Sänger mit seiner
schönen und äußerst geschmeidigen Bassstimme
selten interviewt wird. Er möchte nicht unbedingt im Vordergrund
stehen. Außerdem: Er hat genug zu tun. Z.B. in Japan, wo er alle
Bachkantaten und Vokalwerke Bachs für das Label BIS aufnimmt. In
Kürze wird er im "Netwerk Oude Muziek" mit Kantaten von
Bach und Buxtehude zu hören sein.
Er singt alle Basssoli in der Reihe Bachkantaten und Passionen,
die vom Label BIS aufgenommen werden, mit dem Bach Collegium Japan u.
d. L. v. Masaaki Suzuki.
Außerdem ist er auch ein fester Bachsänger von Philippe
Herreweghe und sang regelmäßig Bach mit Ton Koopman. Zur
Zeit probt er gerade Bachs H-moll-Messe mit dem Niederländischen
Bachverein u. d. L. v. Jos van Veldhoven.
Doch erschien vor einigen Jahren eine zu Unrecht übersehene CD,
worauf er auf grandiose Weise Schubertlieder singt, außerdem
steht in seiner Biographie, dass sich sein Repertoire von
"Schütz bis Weill" erstreckt.
Unangenehm, so ein Bachstempel?
Peter Kooij zieht leicht seine Schultern hoch.
Nein, das stört mich überhaupt nicht. Wenn man einmal in diese
"Barockmusikschublade" gesteckt wird, wird man am meisten
für dieses Repertoire gefragt. Für mich ist das kein
Problem, weil ich auch denke, dass es uninteressantere Schubladen
gibt.
Außerdem steht Bach für mich auf einsamer Höhe. Immer
wieder entdecke ich neue Aspekte in seiner Musik, wie z.B. in der
Matthäus-Passion, die ich mittlerweile über 300 Mal gesungen
habe und die nie langweilig wird, egal in was für einer
Aufführung. Bei anderen Komponisten reichen schon manchmal die
Proben aus, um anschließend in der Aufführung mit seinen
Gedanken abzuschweifen.
Es wird immer wieder gesagt, dass Bach so schwierig für
Sänger komponiert hat.
Sicherlich immer wieder eine Herausforderung und bestimmt keine
leichte Kost, aber obwohl Bach für Singstimme als auch
Instrumente sehr komplizierte Musik schrieb, wusste er genau, welche
Möglichkeiten die Instrumente und die Sänger hatten, was
man von den meisten Komponisten der letzten 50 Jahre nicht unbedingt
behaupten kann. Auch kann man ganz deutlich sehen, dass er für
sehr unterschiedliche Sänger geschrieben hat, wie z. B. die
beiden Bass-Arien in der h-moll- Messe, wo er sicherlich einen
Bariton und eine tiefere Bass-Stimme zu Verfügung hatte, oder z.
B. in der Johannes-Passion, wo die beiden Sopran-Arien sehr
verschieden sind und man sich vorstellen könnte, dass die 1.
Arie ("Ich folge dir gleichfalls") von einer noch ganz
jungen Knabenstimme, und die 2. sehr komplexe und technisch schwere
Arie ("Zerfließe, mein Herze") von einer unmittelbar
vor dem Stimmbruch stehenden, ausgereiften Stimme gesungen worden
ist.
Übrigens kamen die Knaben viel später in den Stimmbruch als
heute, ungefähr im Alter von 17 Jahren. Als ich in den
Stimmbruch kam, war ich ungefähr fünfzehn Jahre alt, aber
in der heutigen Zeit ist das sicherlich mindestens ein Jahr
früher. Ein Grund dafür könnte sein, dass wir in
unserer heutigen Ernährung zu viele Hormone zu uns nehmen.
Deshalb gibt es wahrscheinlich auch keine "schwarzen"
Bässe mehr in West-Europa und Amerika. Z.B. in Russland, wo sich
die Leute noch natürlicher ernähren, gibt es von Natur aus
noch sehr tiefe Stimmen. Ob es wahr ist, weiß ich nicht sicher,
aber es klingt irgendwie logisch.
Peter Kooij fing im Alter von 6 Jahren mit dem Singen an, im Chor
seines Vaters, der Domkantor in Utrecht war. Als er in den Stimmbruch
kam, war er natürlich auch nicht gleich Bass.
Was passiert denn in der Zwischenzeit?
Das ist in jedem Land unterschiedlich. In Deutschland fliegst du
gleich raus und kannst erst wieder zurückkommen, wenn du wieder
ordentlich singen kannst. In England singen die Jungs weiter, aber
sehr vorsichtig.
Mein Vater hat ziemlich viel darüber gelesen und hat mich damals
in den Alt gesetzt. Für mich war das nicht leicht, weil ich am
liebsten gleich so tief wie möglich singen wollte. Ich bin
meinem Vater noch immer dankbar für diese richtige Entscheidung,
denn dadurch begann ich erst einmal als Altus.
Er sagt dies mit seiner tiefen, sonoren Bass-Stimme, die an
dunkelroten Samt erinnert, und lächelt über mein
Erstaunen.
Die ersten Jahre habe ich dann sowohl Altus als auch Bass gesungen, aber
nach einiger Zeit findet man zu seinem Fach. Mein Lehrer, Max van
Egmond, hat mich dabei übrigens sehr gut unterstützt und
gut beraten. Es ist ungefähr 11 Jahre her, dass ich zuletzt als
Altus aufgetreten bin, zusammen mit meinem damaligen Schüler Kai
Wessel, der außer einer wunderschönen Alt-Stimme auch noch
eine wohlklingende tiefe Bass-Stimme hat. Spaßeshalber hatten
wir Plakate drucken lassen, worauf er als Bass und ich als Altus
gedruckt waren. Wir dachten, dass nicht viele Leute zum Konzert
kommen würden, aber als wir dann in die Kirche kamen, waren fast
1000 Zuhörer da!
Peter Kooij ist wie nur wenige andere Bässe im Stande,
federleicht zu singen. Im Gegensatz zu anderen Bässen, die mit
einer gewissen Trägheit zu kämpfen haben, klingen Peter
Kooijs Koloraturen und Verzierungen äußerst leicht, schnell
und ohne Anstrengung.
Dafür war mein Lehrer, Max van Egmond, absoluter Spezialist und hat
mir das weitergegeben. Wenn man Koloraturen oder schnelle Fugen zu
singen hat, gibt es im Grunde genommen nur eine Möglichkeit, das
zu schaffen, ohne dass die Stimme darunter leidet: durch eine
spezielle Zusammenarbeit von Bauchmuskeln und Zwerchfell. Die
Geschwindigkeit muss man genauso trainieren wie ein Sportler. Viele
Sänger versuchen diese Geschwindigkeit zu erreichen, indem sie
kurze Luftstößchen durch die Stimmbänder
"schießen", wodurch diese relativ schnell
ermüden.
Seit den Anfängen der Pioniere im Bereich "Authentische
Aufführungspraxis" hat sich mittlerweile vieles
geändert.
Ich kann mich noch sehr gut an die ersten Bach-Kantaten-Aufnahmen
erinnern, wobei manche Instrumente ziemlich schräg geklungen
haben. Da hatten die Sänger und Instrumentalisten viele
Untersuchungen über die Aufführungspraxis gemacht, was
nicht immer bedeutete, dass sie auch gutes Material hatten.
Das alles war natürlich auch eine übertriebene Reaktion auf
die damals üblichen über-romantisierten Aufnahmen von
Richter und Rilling. Heute hat sich mittlerweile alles wieder auf ein
Mittelmaß eingependelt und es gibt sehr viele Sänger mit
einer schönen Stimme und guter Technik, die genau wissen, wie
man sich z. B. dem weichen Klang eines Barockorchesters anpasst.
Natürlich gibt es auch negative Seiten an dieser
Professionalisierung, die durch die ganze CD-Industrie noch
gefördert wird, wobei nur noch Perfektion angestrebt wird.
Knabenstimmen haben da keine Chance mehr. Dazu kommt die Tatsache,
dass der Stimmwechsel heute sehr früh einsetzt und es sich
deshalb nicht mehr lohnt, Zeit zu investieren in eine Stimme, die
vielleicht noch ein oder zwei Jahren durchhält. Sobald die CD
herauskommt, ist die Stimme verschwunden. Ein verhängnisvoller
Teufelskreis: Keine Konzerte ohne CD und keine CDs ohne Konzerte.
Frauenstimmen können natürlich sehr schön sein, aber
es schwingt einfach noch eine andere Dimension mit, wenn eine
Knabenstimme "Dein Jesus ist tot" singt, auch wenn sie
weniger perfekt ist.
Text ist kein Hilfsmittel, sondern Ausgangspunkt.
Der große Vorteil für uns Sänger im Gegensatz zu den
Instrumentalisten ist, dass wir den Text haben, so dass wir uns
für die Phrasierung keine weit hergeholten Vorstellungen mehr
machen müssen. Deshalb ist es besonders schade, dass viele
Sänger diesen Vorteil nicht nutzen und sich wenig Gedanken
über Textinterpretation machen oder sich durch ihre Technik
behindern und dadurch nicht zu verstehen sind. Wenn das der Fall ist,
hat jedes Instrument (außer vielleicht einer Blockflöte)
mehr Ausdrucksmöglichkeiten.
Früher, als es noch kein TV gab, wurde viel mehr Wert gelegt auf
Deklamation. Wenn z.B. Albert van Dalsum "O kerstnacht schooner
dan de dagen" aus Vondels "Gijsbreght van Aemstel"
vorgetragen hat, konnte man das quasi wie einen Film von Steven
Spielberg erleben. Ich muss immer wieder bei meinen Schülern
darauf bestehen, dass sie sich Gedanken darüber machen, was sie
eigentlich singen. Die Schwierigkeit bei den meisten Musikhochschulen
ist, dass die Lehrer mehr Wert auf ein fließendes Legato legen
als auf die Fähigkeit, den Zuhörern eine Geschichte zu
erzählen. Trotzdem muss das Legato ganz und gar nicht darunter
leiden. Im Hinblick auf die Aufführungspraxis alter Musik
klaffen Welten zwischen den Instrumental- und den
Gesangsabteilungen.
Auch Philippe Herreweghe legt einen außerordentlichen Wert auf
die Text-Deklamation. Da wir schon mehr als 25 Jahre
zusammenarbeiten, brauchen wir fast nicht mehr zu proben, auch nicht
für "neue" alte Musikstücke. Bei einigen Kollegen
erklärt er viel über Texte, die inhaltlich schwer zu
verstehen sind. Das kann er dann so gut, egal in welcher Sprache,
dass die Sänger dies sehr schätzen und sich nicht gleich
angegriffen fühlen.
Nachdem er 10 Jahre als Lehrer am "Sweelinck-Conservatorium"
gearbeitet hat, wurde er seit dem Jahr 2000 als Gastdozent an die
"Geidai University for fine Arts and Music" in Tokyo
berufen. Fünfmal pro Jahr fliegt er nach Japan, um zu
unterrichten und an der integralen CD-Aufnahme von Bachs Vokalmusik
mit dem Bach Collegium Japan u. d. L. v. Masaaki Suzuki
mitzuwirken.
Es hat einige Zeit gedauert, um mich an die Umgangsformen der Japaner zu
gewöhnen und zu verstehen, wann sie wirklich "nein"
denken, auch wenn sie "ja" sagen. Die Japaner, mit denen
ich zusammenarbeite, haben öfters auch in Europa studiert und
sind deshalb "offener". Trotzdem muss man sie noch mehr aus
der Reserve locken als die Europäer. Ein großer Vorteil an
ihrer Art ist , dass sie ohne Bedenken versuchen alles nachzuahmen.
Das wiederum birgt auch Gefahren in sich, weil sie nicht ihre eigene
Interpretation einbringen, sondern die eines Anderen. Einmal
versuchte ich dieses Problem einem japanischen Schüler klar zu
machen, indem ich eine Arie mit total falschen Phrasierungen vorsang
(was mir viel schwerer fiel, als ich dachte). Anschließend
sang er das Stück genauso nach. Als ich ihn daraufhin fragte,
wie er es selbst beurteilen würde, merkte ich, dass er
große Zweifel hatte.
Es hat keinen Sinn, sich 7 CDs anzuhören und anschließend
eine Interpretationsmischung daraus zu machen. Zuerst sollte man das
Buch mehrere Male lesen. Wenn man dann viel Talent hat, könnte
man einen schönen Film drehen.